Mit Unterstützung von Gülcan Dia vom Begegnungszentrum AWiSta Fredenberg hatten wir am 31. August 2023 zu einer Begegnungsveranstaltung zwischen Seniorinnen und Senioren und Menschen mit Flucht- und Migrationsgeschichte eingeladen. Schnell wurde deutlich, dass viele der Teilnehmenden eine Art der Migrationsgeschichte aufweisen. Birgit Hülsenbeck, Leiterin des Wohncafés AWiRA, die gemeinsam mit Seniorinnen gekommen ist, erzählte von ihrer Migration von Hannover ins Braunschweiger Land. Trotz nachgesagter Rivalität sei sie gut angekommen. Eine 95-jährige Seniorin, die kurz vor dem Mauerbau samt Familie die DDR verließ, hatte keine Probleme in Salzgitter neu anzufangen. Auch eine andere Seniorin kam aus der DDR. Sie verliebte sich zu „Mauerzeiten“ in ihre Partnerin aus dem Westen. Kennengelernt hatten sie sich in der DDR. Nach dortigen Besuchen der Partnerin und gemeinsamen Urlauben in Ungarn und der Tschechoslowakei (die nach einem erfolglosen Ausreiseantrag erschwert wurden), konnte sie schließlich nach 20 Jahren Fernbeziehung im November 1989 zu ihrer Partnerin in die Bundesrepublik ziehen. Auch durch ihren Beruf als Krankenschwester habe sie schnell Anschluss gefunden.
Der 19-jährige Sasha aus der Ukraine berichtete, dass er gemeinsam mit seiner Familie im März 2022 nach Salzgitter gekommen sei. Für sein Deutsch, was er erst seit Oktober lernt, wurde er von allen Teilnehmenden gelobt. Er erzählte, dass er gerne Animation an der Filmhochschule Babelsberg studieren möchte und dass er leider in Salzgitter noch keine Freunde habe. Auch eine 94-jährige Engländerin musste mühsam die Sprache lernen, als sie nach der Familiengründung mit ihrem Mann, einem deutschen Kriegsgefangenen nach dem Zweiten Weltkrieg, nach Deutschland kam. Dieser habe mit ihr nur englisch gesprochen und so sei der Start in Deutschland herausfordernd gewesen. Seit sie aber regelmäßig im AWiRA sei, spreche sie hervorragen deutsch, scherzte Birgit Hülsenbeck. Der Vater einer Teilnehmerin habe bis zu seinem Tod in diesem Jahr die deutsche Sprache nicht richtig gelernt. Das sei damals, für die sogenannten Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen politisch nicht gewollt gewesen. Schließlich sollten sie nach einem begrenzten Aufenthalt eigentlich das Land wieder verlassen. Sie selbst kam auf diesem Weg mit drei Jahren nach Deutschland und musste oft für ihre Eltern übersetzen. So auch, als ihr Lehrer von der Wichtel-Tradition berichtete und die Kinder sich gegenseitig „zum Beispiel mit Stiften oder Süßigkeiten oder Schreibblöcke“ beschenken. Sie habe wohl das Wörtchen „oder“ nicht verstanden, jedenfalls habe ihr Vater, der immer sehr großzügig gewesen sei, zwei Tüten mit all den aufgezählten Kleinigkeiten mitgegeben. Das Kind, das dieses Wichtel-Geschenk bekommen hat, habe sich sehr gefreut, erzählte sie. Sie hingegen sei mit einem kleinen Schreibblock nach Hause gekommen, worüber ihre Mutter sehr erstaunt gewesen sei und dann vermutete, die Deutschen seien geizig. An diese Geschichte müsse sie jedes Jahr zu Weihnachten denken und auch am heutigen Nachmittag brachte es die Teilnehmenden zum Lachen.
Die rege Gesprächsrunde war sehr offen und harmonisch, als jedoch das Thema auf Kopftücher fällt (zwei Teilnehmerinnen tragen Kopftuch), gab es Meinungsunterschiede. Ein Teilnehmer berichtete von seiner Nachbarin, die erst mit Mitte 30 angefangen habe, Kopftuch zu tragen. Seitdem habe sie sich verändert. Eine muslimische Teilnehmerin mit Kopftuch entgegnete: „Aber was denkt ihr, wenn ihr Nonnen seht?“. Es wird deutlich, wie ein Stück Stoff polarisieren kann. Auch wenn sich die Teilnehmenden an dem heutigen Nachmittag bei diesem Thema noch nicht sehr aufeinander zubewegen konnten, sind sie sich einig darüber, dass sie dieses und weitere Themen gerne fortsetzen würden.